Praktikum bei hjm Wein in Wöllstein Rheinhessen
Freitag Morgen der 18. September 2009 auf der Autobahn 1 hinter Osnabrück. Vollsperrung in beiden Richtungen – nichts geht mehr. Na, das fängt ja gut an.
Das Handy bimmelt, Jutta, die Chefin ist dran: „ Hallo Thorben, wie weit seid Ihr?“
Hmm, gute Frage, irgendwo hinter Osnabrück, ich denke das dauert noch …
„Mach dir nichts draus“ sagt sie „freu dich lieber auf die Weinprobe heute Abend,
wir haben eine lustige Truppe da“. „ Fahr vorsichtig! Und bis bald“.
Das Praktikum beginnt mit ner Weinprobe? Auch nicht schlecht. Gehts hier auch irgendwann mal weiter? Gefühlte 7 Stunden später sind wir angekommen.
Fröhliche Begrüßung wie immer, wir haben das große Zimmer mit der Küche bekommen.
Das Wetter ist toll und wir haben noch Zeit für ne kleine Wanderung durch die Weinberge.
Die Weinprobe war klasse, deftiges Essen, nette Leute und angeregte Unterhaltungen.
Ich hab mich auf die Weißweine konzentriert – die ersten für zu Hause stehen schon fest.
Die roten probiere ich später, das wird sonst zu viel auf einmal.
Samstag Morgen, herrlich geschlafen und reichlich gefrühstückt: Hermann der Chef schickt uns mit Kurt auf den kleinen Wingert ( Weinberg ) beim Wasserturm. Im zweiten Jahr ist jetzt die erste Lese. Das geht noch nicht maschinell. Also Handlese, genau wie ich es mir erträumt habe.
Kurt macht die Ansage: „ 2 Eimer und die Schere mitnehmen, folgt mir“. „ Bleibt auf der Seite mit dem Rasen, sonst habt ihr bald 10 kg Lehm unter den Schuhen!“
So, los gehts, wo sind die Trauben? Grünes Laub und grüne Trauben, gar nicht so einfach. Da ist was, oben abgeschnitten und in den Eimer gelegt. „Pass bloß auf“ ruft Kurt „die Schere kann dir leicht die Finger abschneiden, mach keinen Scheiß“
Ja ja, denke ich mir, ich bin doch nicht doof. Das Wetter ist toll, der Weinberg duftet, tolle Arbeit. Nach den ersten zwei Eimern kommt so langsam der Rhytmus. Aber warum wachsen die Trauben nicht einfach nach unten? Mal nach links, mal nach rechts, dann schräg nach oben… Da weiß ich doch garnicht wo ich die Schere ansetzen soll.
Wie macht der Kurt das eigentlich? Er rupft erst das Laub ab und schneidet die Trauben von oben nach unten vom Stock. Logisch, geht viel besser. Hängt da noch eine? Hinter dem Stock? Die krieg ich auch, da brauch ich nur rumgreifen und schnipp – das war der linke Zeigefinger – anscheinend bin ich doch zu blöd. „ Kurt, haste mal ein Pflaster?“ „Klar“ kommt es breit grinsend aus 8 Metern Entfernung. Sind wir nicht gleichzeitig angefangen?
Mann ist der schnell, Kunststück, ist ja auch damit aufgewachsen.
Hupt da jemand? Der Chef steht oben und winkt uns heran. „ Pause! Weck, Worscht un Woi“ das beste Essen zur Weinlese. Eine Weinschorle vom Silvaner, erfrischend kalt, einfach köstlich. Hermann kann sich ein Grinsen nicht verkneifen weil ich mir die Fleischwurst auf das Brötchen schneide … Hier nimmt man in die eine Hand den Weck, in die andere die Worscht. Ich hab lieber die eine Hand frei für die Weinschorle 😉
So, weiter gehts, fertig ist wenn fertig ist – die Trauben rufen. 3 Tage später, ok es waren nur 4 Stunden, die Finger kleben, das Pflaster hält schon lange nicht mehr, egal, der Schnitt ist eh zugeklebt. Der Rücken schmerzt, die Beine sind müde, die Brille taugt nichts. Ich hätte statt der Gleitsichtbrille lieber die Lesebrille ( Weinlese = Lesebrille ) nehmen sollen. Logisch oder?
Die letzte Traube ist im Eimer, hurra, hurra wir sind fertig, fix und. Der Hänger ist gerade mal halb voll geworden – zumindest haben wir durchgehalten.
Der Trecker steht schräg am Hang, den lasse ich besser von Kurt wenden. „ Kurt, bitte sei so lieb und wende mir das Teil, nach der ganzen Arbeit wäre es bitter, wenn ich den Hänger umschmeiße“ „Gute Idee“ sagt er und ist schon unterwegs. Ab gehts zum Weingut. Mit stolz geschwellter Brust und satten 25 km/h geht es durch den Ort. Den Hänger parke ich direkt vor der Kelter. Die Trauben werden jetzt gleich in die Presse gepumpt. Der Saft läuft schon in die Auffangwanne. Der Luftsack in der Presse wird jetzt mit 2 bar aufgepumpt und bleibt kurz stehen. Dann dreht die Trommel ein paar Umdrehungen, bleibt stehen und drückt wieder mit 2 bar.
Fertig, der Saft wird jetzt in einen Gärtank abgepumpt. Das wird der erste Federweißer.
Die Trommel wird geöffnet, der Trester kann herausfallen und abgefahren werden. Beim Blick auf den Trester erkenne ich noch volle Trauben und krabbelnde Ohrenkneifer.
„ Hermann, warum sind da noch volle Trauben?“ „ Das sind die Geiztrauben, unreif und sauer bis bitter – darum presse ich nur mit 2 bar, um nur den besten Traubensaft zu bekommen“ antwortet er.
Ich kann mit der Hand noch ordentlich Saft auspressen, aber der schmeckt tatsächlich nicht so sauber wie der in der Wanne. Weniger ist eben doch mehr. Den Ohrenkneifern scheint der Pressdruck nichts aus zu machen, Pestizide sind eh nicht drin, weil nicht gespritzt wird. ( Hermann trinkt schließlich seinen Wein und will sich nicht vergiften )
„ Saubermachen bis der letzte Traubenrest aufgenommen ist, sonst haben wir hier morgen den Fruchtfliegenalarm!“ Hermann kennt keine Gnade, alles noch ausspülen und wischen, dann ist endlich Feierabend. Ein toller aber auch harter Tag, von wegen fröhlicher Weinberg… Handlese ist ein Knochenjob. Zur Belohnung gibt es heute Pilznudeln und den tollen Kerner/Silvaner.
Neuer Tag, lecker Frühstück: Jutta hat wieder das volle Programm gedeckt, mit den Eiern der eigenen Hühner. Super, da gönn ich mir doch gleich 2 davon.
Heute steht der Regent auf dem Programm. Unten wartet schon Anna Maria mit dem großen Trecker oder Schlepper wie er hier heißt. „ Guten Morgen, gut geschlafen? Komm ich zeig dir mal wie es geht“ Jetzt muss ich gut aufpassen. Schaltung ganz normal wie beim Auto, Blinker, Kupplung, Bremse. „Die ganzen Schalter und Knöpfe brauchen wir heute nicht, da lass mal am besten die Finger von. Sonst laufen irgendwelche Untersetzungen oder Antriebe für Zubehör mit“ Sie fährt mit mir ein Stück und fragt: „kriegst du das hin?“ „Klar, kein Problem -ich lass es erst mal langsam angehen, schließlich will ich hier nichts zerdeppern“. Anna Maria ist 17 Jahre jung, sie fährt das Monster schon seit 5 Jahren im Weinberg …
Wie war das noch? Bis zur Parkbucht an der Bundesstraße, dann rechts hoch in den Wingert. Klar, ganz einfach, wenn nicht alle Weinberge gleich aussehen würden?!?
Ganz oben steht ein roter Punkt – das muss der ERO sein, der Vollernter – da fahr ich mal hin. Oben angekommen weist mich Tobias, der Fahrer in die Halteposition ein und fragt ob ich bei ihm mitfahren möchte. Wow, gerne, das ist doch mal was. Von oben kann ich genau die Ernte beobachten. Der Weinstock wird unten von beweglichen Kunststoffschaufeln abgeschirmt, darüber sitzen federnd gelagerte Kunststoffstreifen, die den Stock schütteln. Die Trauben fallen runter auf ein Förderband, das Laub wird entrappt und heraus gepustet. Nach 4 Reihen ist der Behälter voll und kann in den Hänger gekippt werden. Ich steige wieder ab, um mir das an zu schauen. Erstaunlich, viele der Trauben sehen unbeschädigt aus und es sind kaum Stängel und Laub in der Ladung. Der Blick in den Wingert bestätigt das. Die Stängel hängen noch mit ein paar unreifen Trauben am Stock. Tobias, der Fahrer kommt mit der nächsten Ladung, ich mach mal ein paar Fotos.
Kaum zu glauben, aber in extrem kurzer Zeit ist der Hänger halb voll. Wir haben einen Tag gebraucht, die ganzen Stängel waren dabei und es lagen jede Menge einzelner Weintrauben auf dem Boden. Diese Runde geht ganz klar an den ERO.
Der Hänger ist fast voll, ich glaub ich fahr los. Oh, da kommt Hermann. Kurzer Blick in den Hänger: „2 Ladungen gehen noch rein“ Hat er meinen panischen Blick erkannt? „Den fahr ich dann selber zum Fels, du kannst ja das Auto nehmen“. Mann da fällt mir ein Stein vom Herzen und ne Schlagzeile in der Zeitung ein: „Norddeutscher ruiniert die Ernte eines Rheinhessenwinzers“. Das übervolle Gefährt den Weinberg hinunter – ohne die Hälfte zu verschütten bedarf schon der Übung, das kann er deutlich besser wie ich.
Die Privatkellerei Fels in Gau-Bickelheim bietet neben der Weinabfüllung auch eine Maischeerhitzung an. Dabei wird die Maische grundsätzlich entrappt und auf 80° kurz erhitzt. Dann sofort wieder auf unter 50° herunter gekühlt. Durch dieses Verfahren umgeht man die mehrtägige Maische Gärung. Der angebliche Nachteil dieses Verfahrens soll ein Karamellgeschmack des Weines sein. Das kann ich aber selbst jetzt, wo ich es weiß nicht entdecken. Karamell entsteht auch nicht bei 80° denke ich. Ich mag den fruchtigen Geschmack der Traube, gerade die Regent Traube hat einen ganz eigenen Geschmack. Die bei der Maische Gärung entstehenden Gerbstoffe würden diesen feinen Geschmack verändern. Dazu dann vielleicht noch eine Eichennote im Wein? Das hat dann mit der ursprünglichen Traube nicht mehr viel gemeinsam.
Heute Abend gönn ich mir mal ne Flasche Regent – da werd ich noch mal genau drauf achten …
Neuer Tag, neues Glück: Hab ich einen Muskelkater im Rücken und in den Oberschenkeln. Handlese? Tolle Erfahrung, aber lass mal stecken!
Hermann turnt schon unten rum. Mist, bin ich zu spät oder ist er zu früh? Egal, Brötchen reingestopft, Kaffee getrunken und auf gehts. Auf dem Hänger stehen 3 Fässer des Abfüllbetriebes Fels. In die wird jetzt der Portugieser Rotwein gepumpt. Hermann drückt mir die Fernbedienung in die Hand: „ Wenn das Fass voll ist, mit der Null die Pumpe ausschalten und im nächsten Fass mit der eins wieder starten“. Sprichts und verschwindet im Kellerlabyrint. Das Fass ist fast voll, ich teste mal lieber die Fernbedienung… Klappt tadellos, jetzt ist es voll. Noch 2 Fässer vollmachen, das dauert bei der Monsterpumpe gerade mal 10 Minuten. Kontrolle von Schlepper und Hänger: Hinten rechts fehlt etwas Luft, sonst alles ok.
Ich genieße wieder einmal die Fahrt von Wöllstein zum Abfüllbetrieb Fels in Gau-Bickelheim. Bei der Ankunft frag ich erst einmal, ob ich Fotos machen darf. Klar, darf ich!
Junge junge, was für ein Aufwand! Der Wein wird durch drei verschiedene Filterstufen gepumpt und gleich in die Flaschen abgefüllt. Die Flaschen sind steril, werden aber trotzdem noch gespült und vor einem Lichtkasten kontrolliert. Tolle Maschinerie, ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Da werden auch die mitgebrachten Etiketten aufgeklebt. 6000 Flaschen die Stunde, da müssen die 4 an der Verpackung auch ordentlich zupacken.
Weiter gehts, das schaffen die auch ohne meine neugierigen Fragen und Blicke. Der Trester muss aus der Presse raus, auf dem Wingert braucht Tobias sicher schon bald einen leeren Hänger.
Hermann hat schon den Trester herausgefahren. Prima, dann kann ich ja die Auffangwanne wieder darunter schieben. Kurz Schwung holen – knack, das war die Rippe. Mann du Idiot denke ich mir. Mit den Arme schieben und nicht mit dem Körper!!!
Bloß nichts anmerken lassen, geht schon, bei der Wanderung heute nachmittag krieg ich wieder besser Luft. Morgen ist nur Theorie geplant – da ruh ich mich mal aus.
Heute steht noch der Test der Portugieser an – alt gegen neu … Das wird lustig …
Neuer Tag – viel Theorie, mir raucht die Birne …
Blindverkostung: 1 Wein, 3 Verschlüsse, ( Kork, Kunststoffstopfen und Schraubverschluss ) welcher schmeckt am besten?
Mann ist das schwer, alle Weine aus dem gleichen Jahrgang, gleiche Temperatur, gleiches Glas. Ich entscheide mich für das Glas in der Mitte! Haube hoch: Es ist der Wein mit dem Schraubverschluss. Na gut, haben wir das also auch geklärt.
„ Hermann, wie lange kann ich den lagern?“ „ Schwer zu beantworten, hängt auch von der Temperatur und Lagerstätte ab, nicht länger wie 5 Jahre denke ich, dann verliert der Wein an Frucht und Aroma“. „Das ist doch voll in Ordnung, länger wie 1 Jahr hält er bei mir eh nicht“ ;-))
Frucht und Aroma! Es ist ihm sehr wichtig, das der Geschmack der Trauben erhalten bleibt. Da stellt man sich doch die Frage, warum soll ein Wein Stunden vorher geöffnet werden und vor sich hin oxidieren, wenn sich der Winzer so viel Mühe mit dem Erhalt des Aromas gibt??? Da muss ich noch mal drüber nachdenken. Nicht alles was immer so vorgemacht wurde muss auch richtig sein …
Den Portugieser hat er übrigens wieder toll hingekriegt – einen Hauch fruchtiger und vielleicht ganz minimal trockener? Um das genau zu sagen muss der Wein aber noch ein paar Tage ruhen …
Ein weiterer Punkt von Interesse ist auch noch der Oechslegrad der Trauben bzw. des Saftes. Auf dem Etikett des hjm Regentweines steht Qualitätswein b.A. Das bedeutet, er braucht nach Gesetz mindestens 62° Oechsle. Die Trauben hatten aber auch in diesem Jahr 92° Oechsle und drüber. Das reicht locker für eine Spätlese! Bei hjm steht aber trotzdem nur Qualitätswein b.A. auf dem Etikett. Ist doch echt klasse, Etikettenschwindel mal anders herum – der Verbraucher bekommt die bessere Ware für den günstigeren Preis …
Der Nachmittag ist frei, das schöne Wetter ist herrlich, die Weinberge laden zum Naschen ein. Mittlerweile kann ich auch die Trauben geschmacklich unterscheiden und zuordnen. Dazu probiere ich allerdings lieber die Sonnenseite, die sind reifer …
Meine Lieblingstraube ist immer noch die Regent Traube. Ich werde ein paar Reben mitnehmen und Hermann Konkurrenz machen! Er hat ja keine Geheimnise gehabt und mir alles gezeigt…
Hmmm, wenn das so einfach wäre, und ausserdem würde mir die wunderschöne Zeit im Weingut fehlen.
Jutta, Hermann, Anna und Eva, es war eine tolle Woche, ganz lieben Dank für die Hilfe und Unterstützung. Ich freue mich schon auf das nächste Jahr. Dann kann ich mich hoffentlich revanchieren und für Euch ein schönes Menü kochen.
Informationen zum Weingut: www.hjm-wein.de